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Lou

Leben

Lous Ehe

Wie in einem Märchen aus Tausendundeine Nacht, läutet eines Tages im Jahre 1886 völlig unangemeldet ein unbekannter Mann bei Lou und stellt sich ihr an der Tür vor: Friedrich Carl Andreas (FCA). Er macht einen ruhigen Eindruck und sieht wie ein Gelehrter, in seinem schwarzen Umhang und mit seinem dichten, schwarzen Bart auch vielleicht wie ein Mönch aus. Er bittet um Einlass. Sie ist sprachlos und fragt nicht warum. Sie bittet ihn herein. Es stellt sich heraus, dass er nichts Geringeres will denn sie heiraten. Sie lehnt ab, weil sie die Ehe verabscheut. Sie will nicht. Er versucht alles, sie kann sich nicht entscheiden und hält ihn mit Ausflüchten hin. In seinem verzweifelten Bemühen, Lou seine Liebe (seinen Willen?) aufzuzwingen, stößt er sich am Vorabend ihrer Verlobung vor ihren Augen ein Messer in die Brust, weil sie offenbar seinen Verlobungsantrag abgelehnt hat. Lou und FCAEr versucht, sich das Leben zu nehmen. Lou holt einen Arzt. Er findet eine tiefe, dreieckige Wunde vor. FCA bleibt am Leben. Am nächsten Tag, dem 1.11.1886, findet ihre Verlobung statt. Die Trauung wird am 20.6.1887 vom Pfarrer Hendrik Gillot (→ Liebschaften), Lous erstem Geliebten, in derselben kleinen Dorfkirche in Santpoort (Niederlande) vorgenommen, wo er sie auch bereits am 22.5.1880 konfirmiert hatte. Zu diesem Zweck muss er extra aus St. Petersburg angereist kommen. Zunächst weigert er sich, Lous Aufforderung nachzukommen, weil er nicht bereit ist, die Frau, die er selbst einst gerne geheiratet hätte, nun einem anderen Mann anzutrauen. Aber Lou nötigt ihn dazu durch eine Lüge. Sie schreibt ihm, sie werde dann eben in St. Petersburg eine große Familienhochzeit feiern, und als ihr Konfirmationspfarrer werde er sie dort trauen müssen.

Man weiß nicht, wie Friedrich Carl Andreas (FCA) auf Lou gekommen war und warum er gerade sie aufgesucht hatte und heiraten wollte. Denn sie hatten keine gemeinsamen Bekannten oder Freunde und waren einander vorher nie begegnet. Man nimmt an, dass weil FCA in derselben Pension in der Nähe des Anhalter Bahnhofs, in der Lou wohnte, türkischen Offizieren Deutschunterricht gab, er vielleicht dort Lou gesehen habe und von ihr beeindruckt gewesen sei, so dass er sie kennenlernen wollte. Als er nun vor ihrer Tür ihr gegenüberstand, hatte er keinen Zweifel mehr an seiner Absicht, diese attraktive Frau zu heiraten. Bis vor kurzem hatte sie in dieser Wohnung mit Paul Rée (→ Liebschaften) in einer seltsamen Freundschaft und Wohngemeinschaft zusammengelebt. Mit ihm war sie noch verbunden. Je mehr sie FCA von ihrer Abneigung gegen die Ehe und von der Unauflöslichkeit ihrer Beziehung zu Paul Rée erzählte, desto vehementer warb er um sie. Er erklärte sich sogar mit dem Fortbestand ihrer Beziehung zu Paul Rée während der Ehe einverstanden. Gerade dieses erstaunliche Zugeständnis zeigt, dass FCA um jeden Preis ihre Liebe gewinnen wollte. Doch genau das war und blieb für immer unmöglich, auch wenn sie sich schließlich durch seinen Selbstmordversuch moralisch genötigt gefühlt hat, in die Ehe einzuwilligen. Sie war von vornherein entschlossen und hat es ihm auch klargemacht, dass sie an einer sexuellen Beziehung zu ihm nicht interessiert sei. Durch die blutige Tat von FCA wurde das Paar zwar 43 Jahre lang aneinander gekettet. Aber allen Annäherungsversuchen ihres Mannes widersetzte sie sich stets stur, trotzig und konsequent. Aus ihren eigenen Ausführungen geht es sogar hervor, dass sie ihn einmal beinahe erwürgt hätte, weil er, während sie auf einem Ruhebett schlief, sich neben sie gelegt und sie in einer spontanen Handlung vermutlich erobern wollte. Sie ist dabei durch einen Ton wachgeworden und "Meine Hände umfingen mit starkem Druck einen Hals und drosselten ihn. Der Ton war ein Röcheln gewesen. Was ich erschaute, Blick in Blick, dicht vor mir, unvergesslich fürs Leben, - ein Antlitz --" [Lebensrückblick, S. 202-203].

So wurden ihre Ehejahre, zumindest am Anfang, zu einer unvorstellbaren Hölle. Aber aus unerklärlichen Gründen widersetzte sich FCA seinerseits stets dem Scheidungswunsch seiner Frau. Ihre Verweigerung der sexuellen Beziehung zu ihm beruhte keineswegs darauf, dass sie prüde oder gar asexuell war. Das beweist ihr intensives, außereheliches Liebesleben. (→ Liebschaften). Vielmehr mag die Ursache dafür erstens ihre Ehephobie gewesen sein und zweitens, so wird spekuliert, der Umstand, dass FCA fünfzehn Jahre älter als sie war und sie in ihm eher den Vater als den Gatten erblickte. Aber dieser letztere Aspekt ist sicherlich nicht ernstzunehmen, weil ihr nächster Geliebter, Georg Ledebour, nur vier Jahre jünger als ihr Mann war.

Die höllischen Jahre ihrer Ehe erreichten 1892-94 einen ersten Höhepunkt, nachdem im Herbst 1891 Lou den Redakteur der sozialdemokratischen Berliner Volkszeitung  Georg Ledebour  kennengelernt und sich in ihn verliebt hatte. Diese erste, außereheliche Liebesbeziehung Lous stürzte die Ehe in eine ernsthafte Krise. Da jedoch FCA nach wie vor die Scheidung verweigerte, kamen sie nach harten Kämpfen überein, die Ehe unter der Bedingung fortzusetzen, dass sie sich gegenseitig ein Privatleben zugestanden. Nun war Lou zwar äußerlich gebunden. Innerlich jedoch war sie frei. So konnte sie jetzt ihre Wanderjahre beginnen und unternahm viele Reisen (→ Reisen), auf denen sie sich ausleben konnte. Für ihren Mann waren es bittere Jahre der Einsamkeit, Enttäuschung, des Leidens und der Verzweiflung. Denn auch beruflich hatte er keinen Erfolg, nachdem er wenige Jahre zuvor aufgrund von Intrigen seine Professur am Seminar für orientalische Sprachen verloren hatte. Er war wieder auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen, die kaum ihn selbst ernähren konnten. Ohne Lous - begrenzte - Einnahmen aus ihrer Schriftstellerei hätten sie nicht leben können. Aus demselben Grunde konnte er auch nur selten seine Frau auf ihren Reisen begleiten. Er blieb oft allein zu Hause zurück.

Anfangs wohnten sie in seiner Junggesellenwohnung in Berlin-Tempelhof. Danach bewohnten sie ein großes Haus, ebenfalls in Tempelhof, bevor sie nach Berlin-Schmargendorf umzogen. Hier, in dieser kleinen Wohnung, konnte er ab 1901 von der Haushälterin Marie (→ Marie) versorgt werden, die Lou eingestellt hatte. Von hier zogen sie schließlich im März 1903 für nur kurze Zeit in ihre letzte Berliner Wohnung, in ein schönes, geräumiges Haus in der Rüsternallee in Berlin-Westend, um. In dieser Zeit, im Juni 1903, erhielt FCA seine Berufung als Professor an die Universität Göttingen.

Nach langer Suche fanden sie in Göttingen in der Herzberger Landstraße am Hainberg ein passendes Haus, das ihren Vorstellungen entsprach. Loufried in GoettingenAm 1.10.1903 begann der Umzug der Familie - mit Marie - von Berlin nach Göttingen (→ Göttingen). In dem neuen Heim bewohnt Lou das obere Stockwerk und ihr Mann wohnt, versorgt von Marie, im unteren Stockwerk. In diesem Abschnitt ihrer Ehe scheint sich ihr Leben, das zwar wie bisher mehr oder weniger aneinander vorbeiging, dennoch entkrampft zu haben. In Lous Tagebüchern kommen viele positive Notizen über diese Phase vor. Ihr Mann macht seine Wissenschaft und gibt seinen Unterricht nicht in der Universität, sondern mit Vorliebe zu Hause in seinem Arbeitszimmer, und zwar nachts. Sie selbst führt, wie bisher, ihr eigenes Leben, pflegt den Garten - "Hier bin ich eine Bäuerin geworden und mein Mann ein Professor", schreibt sie in einem Brief an Rilke - schreibt ihre Bücher und Artikel, geht auf Reisen und beschäftigt sich ab 1911 mit der Psychoanalyse (→ Psychoanalyse). Ihr Mann stirbt am 3.10.1930. Trotz einer Empfehlung von Sigmund Freud will sie aber Göttingen nicht verlassen und antwortet ihm zwei Wochen nach dem Tode ihres Mannes in einem Brief am 26.10.1930: "Hier bleibt alles, wie es war; hier umstehen mich die Räume und Dinge und Menschen, die auf ihn eingestellt waren, und hier will ich selber zu Ende gehen". Sie stirbt am 5.2.1937.